Mittwoch, 9. Juni 2021

"Die Justiz ist das einzige Großunternehmen, das es sich erlauben kann, aus seinen Fehlern nicht zu lernen"

Thomas Darnstädt - Der Richter und sein Opfer / Wenn die Justiz sich irrt

Ein paar Zitate (kursiv, meine Anmerkungen nichtkursiv) aus dem unbedingt* lesenswerten (trotz langweiliger Aufmachung) Buch (wenigstens das Schlusskapitel!):

Die Justiz hat ein Problem mit der Wahrheit. Die Schwierigkeiten beginnen damit, dass im Geschäftsmodell dieses Dienstleistungsunternehmens die Wahrheit gar nicht vorkommt.

Die Idee, dass Justizirrtümer unvermeidlich seien, hat etwas wohlig Beruhigendes, für die Irrenden jedenfalls. 

Ralf Eschelbach, als Richter am Bundesgerichtshof, einer der mächtigsten und erfahrensten Juristen Deutschlands, fällt über die Justiz ein vernichtendes Urteil. Nach Eschelbachs Schätzung ist etwa jedes vierte Strafurteil ein Fehlurteil.

"Es kann jeden treffen."

Wenn Gerechte wie Ungerechte damit rechnen müssen gleichermaßen in den Mühlen der Justiz zermahlen zu werden, lohnt sich der Weg des Rechts nicht. Es geht, wie in Unrechtsstaaten, nur noch darum, möglichst nicht aufzufallen.

Haben wir nicht genau diese Situation? Allgemein gilt die Zuschreibung, jemand sei auffällig geworden, als Stigma. Wer auffällt, gilt als unsozial, negativ und schlimmeres. Obwohl es parallel auch eine Kultur des Auffallens in den Medien gibt.
 
In einigen Fällen dränge sich der Verdacht auf, der Irrtum sei gar kein Irrtum gewesen, sondern Ergebnis einer vorsätzlichen Intrige. "Es wird die Gefahr übersehen, wie einfach und gebräuchlich es ist, unerwünschte Personen im Wege des Strafverfahrens aus dem Verkehr zu ziehen."                                          

Nochmal gelesen: es wird nicht vor einer gefährlichen Möglichkeit gewarnt, sondern es sei gebräuchlich - also es ist häufige Praxis, unschuldigen Leuten Strafverfahren anzuhängen und zu verurteilen, um sie so aus "aus dem Verkehr zu ziehen" (GV?), weil sie irgendwem im Wege sind.

Die Richtertätigkeit ist die einzige, die über dem Gesetz steht.

"Ohne wirksame Kontrolle drohe die totale Entfesselung richterlicher Macht".

Die Strafjustiz hat auch ein Problem mit ihren Zulieferern.
Die Strafjustiz kann sich nicht auf ihre Hilfsorgane verlasssen. Denn die haben ihre eigene Vorstellung davon, was der Wahrheitsfindung dient, der Gerechtigkeit - und ihrer Karriere als tüchtige Ermittler.

Polizisten sind Jäger. Ihnen geht es nicht um Gerechtigkeit und deren Voraussetzung, die Wahrheit. Ihnen geht es darum, einen Täter zu stellen und so eine Straftat aufzuklären.

Die Verantwortlichen der Wahrheitsfindung, die Richter, können die Arbeit ihrer Zulieferer nicht kontrollieren. ("dienen ist herrschen") 

Bis heute sind in deutschen Vernehmungszimmern "Erinnerungstechniken des 19. Jahrhunderts üblich." 

"Wie zu Postkutschenzeiten" werden Satz für Satz die Aussagen aufgeschrieben, nachdem sie vom Polizeibeamten in seine vertraute Sprache umformuliert wurden.
Authentische Video- und Tonaufzeichnungen durch die Polizei sind vom Gesetz nicht vorgesehen.                                                                 Begründung: zu teuer. Aber wie solle eine Technik, die mittlerweile jeder Schulbub in seinem Zimmer von seinem Taschengeld einrichten kann, der Justiz unerschwinglich sein?
 

Ist das Folgende vielleicht auch ein wesentlicher Grund für die angeblich so vielen Überstunden der Polizei?:
Ton- und Videoaufzeichnung von Vernehmungen könnten Überstunden abbauen und viel Geld sparen: Die Reisekosten und der Arbeitsausfall jener Polizeiteams würde entfallen, die Tag für Tag auf den Fluren der deutschen Strafgerichte warten, um anschließend als Zeugen auszusagen, wie es wirklich war, bei der Vernehmung.


*es gibt auch einige Fehler / Unstimmigkeiten. So betont der Autor zu Anfang, Deutschland habe die höchste Richterdichte der Welt, was ihn nicht daran hindert am Schluß in seinen Lösungsempfehlungen gegen die Probleme der Justiz noch mehr Richterstellen zu fordern.